Honterusfest
Das traditionelle Treffen der Burzenländer

Quellenrede 2019 - Festredner Hellmut Seiler

Von Quellen und Mündungen

Festansprache („Quellenrede“) –

 

 

I. Der Namensgeber

 

Stellen Sie sich vor, verehrte Festgäste, wir schreiben Anno Domini 1549; Johannes Honterus steht am Fenster des Stadtpfarrhauses, das er seit fünf Jahren als Amtsinhaber bewohnt, blickt auf die Marienkirche, die also (noch) nicht „die Schwarze“ heißt, und lässt sein 51-jähriges Leben Revue passieren; Sie aber stehen neben ihm. Und fragen:

(Sie): Wo sind Sie geboren?

(ER): In Kronstadt als Johannes Honter, Sohn eines Lederermeisters, in der Schwarzgasse.

(Sie): Ist das heute Nicolae Balcescu, die Nr. 40?

(ER): Das weiß ich nicht.

(Sie): Haben Sie studiert?

(ER): Ja, an der Wiener Universität habe ich als Johannes Holler Coronensis den Titel eines Magisters der freien Künste erworben. Zu Ihrer Information: im Wiener Idiom entspricht „Holler“ dem Siebenbürgisch-Sächsischen „Honter“, daher diese Namensgebung. Es handelt sich also um mich.

(Sie): Und dann?

(ER): Nach einem Aufenthalt beim Humanisten Turmair-Aventinus in Regensburg wurde ich 1530 an der Universität in Krakau immatrikuliert und veröffentlichte dort eine lateinische Grammatik und Grundzüge der Weltbeschreibung, beide mehrfach aufgelegt; anschließend weilte ich als Lektor und Herausgeber antiker Schriftsteller in Basel, wo ich einiges über die Technik des Holzschnitts lernte, dort fertigte ich auch zwei Sternkarten nach dem Vorbild Albrecht Dürers an, den ich sehr schätze, sowie die erste Siebenbürgen-Karte; dazu schrieb später der Schweizer Humanist und Geograph Sebastian Münster: „Es war auch vor einem Jahrzehnt ein Kronstädter hier namens Honterus, der die Bildschnitzer unseres Zeitalters weit übertrifft, ein sehr gelehrter Mann“. Na, sehen Sie?

(Sie): Wie ging’s denn weiter für Sie?

(ER): Das ist rasch erzählt. 1533 bin ich nach Kronstadt berufen worden, um, wie es hieß, „das Schulwesen zu reformieren“, auch Ratsherr im inneren Stadtrat wurde ich drei Jahre darauf; ich rief eine Schulbibliothek und Druckerei in Kronstadt ins Leben. Dort haben wir eine Menge Bücher, auch Erstausgaben gedruckt sowie sämtliche Hauptschriften der Reformation, darunter das erste Gesangbuch und Martin Luthers Kleinen Katechismus…Jetzt bin ich aber müde; können wir eine Pause machen?

 

 II. Das Denkmal

 

Seine ausgestreckte Hand, liebe Festgäste, hat wohl jeder von Ihnen vor Augen. Auch damit ist schon Schabernack getrieben worden, einmal hing ein Paar Krenwürstel darüber. Auch sonst hat es an diesem Denkmal des Künstlers Harro Magnussen von 1898 und um es herum genug Dumme-Jungenstreiche gegeben, Tintenfässchen sind daran zerschellt, im Hauptgebäude der Schule gegenüber hat sich sogar einmal eine Kuh befunden, weil einer der Schüler darauf gewettet hatte, sie da hinaufzubefördern; nur den Rückweg wollte sie partout nicht mehr antreten, ein Kran musste also dafür her. Und welche der Lehrer fanden sich wohl in Kreideschrift namentlich wieder auf dem Schwarzen Brett des Stadtpfarrhauses? 

Zahlreiche unter Ihnen, unter euch, verbinden mit dem Kirch- und Schulhof, der jetzt seinen Namen trägt, und mit der Kirche selbst untilgbare Erinnerungen: ob als Glöckner auf dem Turm – für schmale Schülerbudgets ein immer willkommenes Zubrot, des einen Leid, des anderen Freud’ – häufig zweimal wöchentlich die 178 Stufen hinaufgestiegen, vier Jungs an der großen, 6 t schweren (der mächtigsten des Landes), 2 an der mittleren, einer an der kleinen – oder als Sänger/Sängerin im Bachchor unter der kundigen Leitung von Victor Bickerich bis Eckart und jetzt Steffen Schlandt, was für die Beteiligten eine beglückende Erfahrung gewesen ist…


Der Namensgeber (Fortsetzung)

 

Wir gehen wieder zurück ins Stadtpfarrhaus 1549, und hier muss Honterus selbst innehalten, um die Stationen geordnet weiter zu verfolgen. Und uns, verehrte Festgäste, fällt dabei immer wieder „der, die oder das erste“ oder „älteste“ auf. Es muss sich hier um einen begnadeten Erneuerer handeln, den wir jetzt vor Augen haben. Sie fragen also weiter:

(Sie): Geht’s Ihnen wieder besser?

(ER): Mir geht’s immer gut, wenn ich etwas für meine Mitmenschen tun kann.

(Sie): Worauf sind Sie besonders stolz?

(ER): Auf meinen Ornat. (Lacht). Spaß beiseite: Auf den Sportunterricht in der Schule. Und darauf, dass kein Kloster draus geworden ist! Ja, und auf den Coetus, die Schülerorganisation zur Selbstverwaltung…

(Sie): Also eine Art SMV?

(ER): Eine, bitte, was?

(Sie): SMV: Schüler-Mit-Verantwortung!

(ER): Wenn Sie so wollen… Um Begriffe werde ich nicht streiten mit Ihnen.

(Sie): Ist das nun alles? Sie sind schließlich Stadtrat…

(ER): Sie haben Recht. Auch ein Lustspiel ist in der neuen Stadtschule aufgeführt worden, zum ersten Mal ein Theaterstück in einer Schule dieses Landes überhaupt. Und: wir sind keine Katholiken mehr! So bleiben wir vielleicht Sachsen…

(Sie): Wie lange bleiben Sie uns mit Ihrer Schaffenskraft erhalten?

(ER): Das weiß Gott allein!

 

Wir schreiben A. D. 1549. Wie blickt Honterus wohl auf sein rastloses Leben zurück? Nicht ganz unzufrieden, darf man vermuten. Am 23. Januar ereilt ihn der Tod. Uns Nachfahren bleibt überlassen, sein Andenken wachzuhalten.

 

 Das Denkmal (Fortsetzung)


Und damit erneut in der jüngeren Vergangenheit: unvergessen sind unsere ausgelassenen „Chefs“ (ausgesprochen: „kefs“) zu der besten Pop-, Rock-Musik der Welt („In-A-Gada-Da-Vida“; „Child-In-Time“; „Smoke-On-The-Water“, „Black-Magic-Woman“, „Honky-Tonk-Women“ etc), die Kontrollen der Matrikelnummern auf der Uniform beim Schülereingang (die Lehrer hatten den breiten, eigenen, im Hauptgebäude), die „Tschanks“ und das folgerichtige „Tschankieren“ bei den unangesagten „Extemporalen“ vom „Fips“ bzw. den Trimesterarbeiten der „Wanze“, das blödsinnige Auswendigherleiern im Unterricht des ausgemachten Scheusals Marcu, das Verbot der Ponyfransen, die vorgeschriebenen weißen Haarbänder und Rocklängen einen Handbreit unterhalb des Knies; das Rauchverbot auf dem Schülerklo „aus Gesundheitsgründen“, wie Monsieur Bota nicht müde wurde zu schnarren, und die unerbittliche Konsequenz des Kahlscherens im Falle des Erwischtwerdens durch den „Spinoza“. Genauso lebendig sind uns Honterianern aber die ungezählten schönen und spannenden Stunden bei unseren jeweiligen Lieblingslehrern, hier mag jeder von Ihnen, von euch dankbar der seinen gedenken; für mich sind es Künstlerpersönlichkeiten gewesen wie Helfried Weiß und Georg Scherg, gestandene Pädagogen wie die Grande Dame Frau Kehry, Frau Mieß oder der „Bastel“ und junge Lehrer wie der „Gindo“ oder die „Voichia“, die die Begeisterung für ihr Fach an uns weitergaben.

 

Andererseits und keineswegs in den Bereich „Galgen- oder Schelmenstück“ gehören die Schändungen des Denkmals zur Geschichte dieses Kulturraums hinzu, die beiden herausgerissenen Bronzeplatten, eine davon 1999 gestohlen, die andere 10 Jahre danach; sie sind mittlerweile durch Repliken des Künstlers Wilhelm Ernst Roth ersetzt worden.

 

Vertrauen wir darauf, verehrte Festgäste, dass weder Kulturbarbarei noch Banausentum Bestand haben werden, sondern die Achtung vor und die Weiterführung von Leistungen, wie sie auch der Text auf der Rückseite des Denkmals würdigt:

„Dem Licht vom Himmel / brach er / neue Bahnen / Sein Speer und Schild /war das /gedruckte Wort".

 

III. Die Quelle

 

Im Folgenden möchte ich mich auf Quellensuche begeben und berufe mich dabei auf eine Dokumentation, die mein geschätzter Vorredner von 2009, Wolfgang Wittstock, für die Karpaten-Rundschau zusammen- und mir dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat.

Wie die Kronstädter unter Ihnen sicherlich wissen, liegt die Festwiese, auf der in den Jahren 1845-1939 das Honterusfest gefeiert wurde, hinter den ehemaligen Steagul-Rosu-LKW-Werken. Ab 1892 (und bis 1960) gab es in Kronstadt eine Dampf-Trambahn, die von Bartholomae durch die Langgasse auf den Marktplatz (Stadtzentrum) und von hier durch die Brunnengasse in die Vierdörfer (Sacele) fuhr. Erlauben Sie mir hier einen kleinen anekdotischen Einschub: ein Freund hatte mich einmal zu sich in die Siebendörfer (Sacele) eingeladen; ich fuhr also hin, und er begrüßte mich mit den Worten: „Willkommen in den Vierdörfern!“, drei Dörfer waren offenbar unterwegs verlorengegangen. Ich schlussfolgerte: wenn sich diese Reihe arithmetisch fortsetzt, lande ich beim nächsten Mal in Einemdorf!         

Doch machen wir weiter mit der Quellenforschung bis zur Erkundung des gegenwärtigen Zustands derselben: in alten Fahrplänen obengenannter Straßenbahn hieß die Station vor der Noa "Honterus", weil man dort absteigen konnte und nur noch wenige Schritte bis zur Festwiese tun musste. Von der Festwiese muss man etwa 10-15 Minuten durch den Wald ins benachbarte Tal zur Honterusquelle wandern, über deren Zustand die genannte Dokumentation Aufschluss gibt: kurze Zeit nach der Restaurierung der Quelle 1999 verschwand die dabei angebrachte Gedenktafel mit dem Namenszug, wahrscheinlich im Hinterhof eines Altmetallhändlers; die Umstände der Tat dürften ähnliche wie im Falle der Reliefs am Denkmal gewesen sein, wobei es weniger um die Profanierung des Ortes gegangen sein dürfte als schlichtweg um profanen Diebstahl. Daraufhin verschwand die Quelle buchstäblich in einem – ich zitiere – „hässlichen Bunker im KZ-Stil, von Stacheldraht umzäunt“ (Korr. H. S.). Kein Schild weist auf die Quelle hin, deren Nutznießer angeblich der Pharmahersteller „Europharm“ ist, der seine begehrten Pillen wohl mit diesem Quellwasser dreht oder anrührt. Der vorbeikommende Wanderer kann aber seinen Durst am Überlauf der gefassten Quelle stillen. Eine Erinnerungsstätte ist somit ausgelöscht.

Nach 1939 hatte dieser Platz als Festwiese ausgedient. In den Fünfzigern fanden nach Stalins Tod in Stalinstadt noch einmal unterm Rabenstein sowie dreimal auf der Waldwiese am Hangestein Honterusfeste mit Festreden statt, nach 1958 wurden diese Feste von der „Regionala de partid“, der lokalen Schalt-und-Walt-Zentrale der Rumänischen Kommunistischen Partei, verboten.

Zuverlässige Angaben über „Honterusfeste einst in Kronstadt/Siebenbürgen und danach in Pfaffenhofen/Deutschland“ findet man übrigens in der von Ortwin Götz erstellten Dokumentation, die 2008 im WaRo-Verlag, Heidelberg, erschienen ist.

 

Nach der politischen Wende von 1989 konnte dann aber auch in Kronstadt die

Tradition des Honterusfestes wiederbelebt werden. Seit dem Jahr 1992 wird das

Honterusfest jährlich - in der Regel Ende Mai/Anfang Juni - als Schulfest der

Honterusschule auf dem Langen Rücken in der Schulerau begangen; allerdings als Sport-, Blasmusik- und Vergnügungsveranstaltung ohne Ansprache.

 

Nicht unerwähnt bleiben sollen, verehrte Festgäste, zwei historische Jubiläen von besonderer Tragweite: es hat sich anno currente die Mediascher Erklärung zum hundertsten Mal gejährt, in und mit der die Sachsen für den bis heute nicht unumstrittenen Anschluss Siebenbürgens an das sog. „Altreich“ gestimmt haben; deren besondere Umstände und Folgen abzuhandeln bedürfte es allerdings eines gesonderten Exkurses.

 

Zweitens jährt sich zum 30. Mal die politische Wende in der „alten Heimat“, manchen besser als Fernseh-Revolution bekannt; wenn man sich die politische Bühne dort ansieht, zumal das Gezerre zwischen Präsident und Regierung um das Antikorruptionsgesetz oder die Behinderung der Auslandsrumänen durch „ihre“ Konsulate, beim Referendum im Mai dazu abzustimmen, fällt einem gleich das Wort des Bühnendichters Georg Büchner ein: „Die Kategorien sind in der schändlichsten Verwirrung!“

 

 IV.  Epilog (nicht ganz ernst zu nehmen)

 

„Gesunder Menschenverstand“, sagt Albert Einstein, „ist eigentlich nur eine Anhäufung von Vorurteilen, die man bis zu seinem 18. Lebensjahr angesammelt hat.“ Wir hatten das Vorurteil, dass die Siebenbürger sowieso der bessere Teil der Menschheit sind. Und als zweites: dass die Honterianer auf jeden Fall die Krönung der Schöpfung darstellen. Wir wären ergo, laut Einstein, mit einem gesunden Menschenverstand ausstaffiert.

 

 Epilog II (poetisch)

 

Unweit der Stelle, an der Honterus seine Hand unbeirrt in eine Richtung weisend ausstreckt, gab es an einer Außenwand der Kirche eine Sonnenuhr, deren Spuren gerade noch zu erkennen sind; sie funktionierte, wie so manches Menschenwerk, anachronistisch und wohltuend lautlos, zuverlässig und beständig; solange sich die Erde dreht und die Schwarze Kirche darauf steht. Sie ist, meine ich, beispielhaft, beispielgebend.

 

 

                                                                         Hellmut Seiler

                                                                          7. Juli 2019


 
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